Aus der Serie “zeichnen, ohne zu zeichnen”

Dr. Rainer Beßling zur Ausstellung DYADE, Kunstfoyer Oldenburg, 2016 (Auszug)

Sie liegen wie archaische Relikte auf dem Papier. Ihre grafische Körperlichkeit wirkt in manchen Fällen ikonisch, manchmal organisch bei aller Nähe zur geometrischen Grundform. Ihre Binnenstruktur ist zeichnerisch bewegt: Linienbündel bilden dynamisch aufgefächerte Flächen, Punktmengen streuen oder verdichten sich zu Kreisen. Die klar konturierte Form ist gefüllt mit Spuren von Einschreibungen, die bisweilen figürliche Assoziationen auslösen, zumeist aber einem informellen Gewebe poetisch offen gesetzter, subtil gewichteter Einzeichnung gleichen. Abstrakte Formationen mit hohem stofflichem Reiz und beträchtlicher bildlicher Energie.

Ihre Herkunft sieht man den Blättern nicht unbedingt an. Sie sind Abdrücke von Maurerkellen. Burchhard Garlichs hat das Arbeitsgerät mit seinen Einritzungen unverändert übernommen und als Platten für Radierungen genutzt. Ohne kompositorisch überarbeitet zu sein, weisen die Drucke einen hohen ästhetischen Reiz aus. Als Instrument für bauliche, das heißt gestalterische Zwecke liefern die Fundstücke gewissermaßen in einem parallelen Zweig absichtslos Formen mit künstlerischer Qualität.

Mit den Maurerkellendrucken zum Auftakt dieser Ausstellung sind gleich programmatisch einige markante Pflöcke für das Werk des in Oldenburg geborenen Buchhard Garlichs abgesteckt. Das ist das Thema der Architektur, des Bauens, das der Künstler vorzugsweise zeichnerisch aufgreift. Da sind die Geometrie, die Abstraktion und die Konkretion zugleich, auf denen seine Arbeiten fußen. Da ist die Anknüpfung an Funktionalität, die Garlichs mit ästhetischer Formgebung schneidet, die Überblendung von Alltag und Ästhetik. Und da ist die Engführung verschiedener Strukturen, Systeme und semantischer Felder, aus der sich ein neues Wahrnehmungspotenzial entzündet, das den Betrachter verändert gleichermaßen auf die sogenannte reale Wirklichkeit und auf die Formenwelt der Kunst schauen lässt...

Foto Andreas Henk

Zum Projekt "zeichnen, ohne zu zeichnen"

Mit dem Pojekt "zeichnen, ohne zu zeichnen" suche ich nach Möglichkeiten der ästhetischen Visualisierung mechanischer, biologischer oder soziologischer Prozesse. Angefangen hat es, als ich auf der Rückfahrt aus einem Urlaub den Fahrweg grafisch darstellen wollte. An einem Faden hing ich einen Stift in dem Auto auf, der wiederum auf einem Papier schwebte. Alle 100 km wechselte ich das Papier und datierte es mit der Strecke, den gefahrenen Kilometern, Datum und Uhrzeit. Die entstandenen Zeichnungen haben einen chaotisch/kreativen Charakter. Später versuchte ich diese Form der Zeichnung auch ohne Fortbewegung zu realisieren. Ich brauchte mechanische Automaten, die ihren angestammten Platz nicht verließen wie ein Auto. Nahliegend war eine Waschmaschine, zumal ich damals mit einem Toplader wusch, der im Schleudergang unausgewuchtet rumpelte. Die Vibration des Schleuderns erzeugte flirrende Texturen zwischen Diagramm und Chaos. Der Grauwert der Zeichnungen blieb aber immer konstant. Ich wollte explosivere, abwechslungsreichere Zeichnungen. So begann ich, mit einem Kassettenrekorder zu experimentieren. Ich verlängerte den Drehmoment des Antriebes durch einen Draht, an dem ich wiederum einen Faden band, an dessen Ende ein Stift hing. Durch die Rotation fängt der Stift an auf dem unterliegenden Papier zu tanzen. Durch wechseln des Winkels des Kassettenrekorders, sowie einem Gewicht an dem Stift, kann ich Einfluss auf die Zeichnung nehmen. Ich weiß noch, wie verblüfft ich war, als ich erstmals das Resultat sah. Entstanden ist eine gezeichnete Kugel. Plastisch modelliert der Grafikstift eine rund Form; eine Zeichnung, wie entsprungen aus einem Makro- oder Mikrokosmos. Eine futuristische Rückbesinnung auf die Werte der klassischen Zeichnung; ein grafisches Konstrukt, dem eine Unmenschlichkeit im positiven Sinne anzusehen ist.

An der Fortentwicklung der Reihe "zeichnen, ohne zu zeichnen" arbeite ich bis heute. Ich entwickelte biologische Pilzsporenzeichnungen und druckte gebrauchte Maurerkellen im Tiefdruck.